CJP Christlich-Jüdische Projekte

WEITblick

Zwölf Monate – ein Rückblick

Im April fange ich im Forum für Zeitfragen an. Mitten im Lockdown. Mein erstes Projekt: Die Planung eines Anlasses für die Woche der Religionen. «Frau, wie hast du’s mit der Musik?», soll er heissen.
Ausgabe

2 - Mai 2021

Autor*innen

Tania Oldenhage

Tania Oldenhage

Tania Oldenhage

Mit Sozan Mohebbi-Rasuli, Valérie Rhein und Monika Hungerbühler treffe ich mich am Bildschirm, um den Anlass vorzubereiten. Wir sprechen darüber, wie die weibliche Stimme in unseren Religionen reglementiert wurde und welche Musik uns wirklich begeistert.


Im Mai tauche ich - virtuell - in die interreligiöse Landschaft der Stadt Basel ein. Ich lerne, was hinter den Abkürzungen steht: CJP, IGB, BMK, CKK, RKK. Zu den Buchstaben fügen sich allmählich Namen und Gesichter. Im Juni begleite ich meine erste Online-Veranstaltung. Im Juli fühle ich mich schon fast fest im Sattel, und der August ist verheissungsvoll. Ich lerne, wie die Lautsprecher im Zwinglihaus aufgestellt werden.


Der September ist wunderschön. Fünf Präsenzveranstaltungen finden statt. Ich halte einen Vortrag über die jüdische Dichterin Else Lasker-Schüler. Ihr Werk scheint mir aktueller denn je. Auf die Frage, woher sie komme, gab sie oft fantastische Antworten. Dem Maler Franz Marc schrieb sie einmal: «Ich bin aus Galiläa, ging dann nach Bagdad, kam dann nach Theben. So erklärt sich alles.» Heute ist die Frage nach der Herkunft schwierig geworden. «Wo kommst du her? Du gehörst hier nicht hin. Jedenfalls nicht ursprünglich.» Auf ihre Weise hat sich Else Lasker-Schüler bereits vor mehr als einem Jahrhundert dieser Art der Grenzziehung widersetzt.


Ende Oktober leite ich ein Seminar zum Thema «Afroamerikanische Bibellektüre». Und frage mich: Darf ich das? Darf ich als weisse Theologin über dieses Thema sprechen? Ich tue es jedenfalls, denn ich bin der Meinung, dass die anti-rassistischen Interventionen afroamerikanischer Bibelwissenschaftler:innen auch für uns relevant sind.


Im November wird die gesamte Woche der Religionen abgesagt. Andere Anlässe können wir zum Glück online durchführen. Katharina von Kellenbach schaltet sich aus Deutschland zu uns und spricht darüber, wie NS-Täter mit Hilfe theologischer Sprache ihre Schuld relativierten. Dabei kommt sie ins Gespräch mit Patrick Kury, der die prekäre Situation jüdischer Überlebender in der Schweizer Nachkriegszeit schildert.


Im Dezember liegen wegen Covid-19 alle angedachten Projekte auf Eis. Dafür hält Zsolt Balkanyi-Guery einen ausgezeichneten Online-Vortrag über die Geschichte des Antisemitismus in der Schweiz. Am Ende zitiert er Hannah Arendt, die gesagt hat, dass manche Unrechtsgeschichten auch über sehr lange Zeiträume immer wieder nacherzählt werden müssen.


Der Januar beginnt mit einem interreligiösen Online-Gespräch zum Thema «Diskriminierung und Religion». Im Februar treffen sich 70 Leute zum Thema «50 Jahre Frauenstimmrecht» auf dem Bildschirm. Frauen unterschiedlichen Alters kommen zu Wort. Amira Hafner-Al Jabaji erzählt uns, wie sie als Tochter eines irakischen Vaters politisiert wurde und was das Stimmrecht für sie bedeutet.


Ende März verlasse ich meine Stelle am Forum für Zeitfragen. Die interreligiösen Begegnungen – sei es in Basel oder am Bildschirm – werde ich nicht vergessen.