Ausgabe | 2 - Mai 2021 |
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Autor*innen | Ruedi Spöndlin |
© Südbeck-Baur, aufbruch
Mit Corona hat die Diskussion um Patientenverfügungen eine neue Dynamik erhalten. Die Debatte in Gang setzte der ehemalige Fernsehmoderator Kurt Aeschacher, als er in einer ‘Club’-Sendung des Schweizer Fernsehens zum Thema Corona am 24. März 2020 anregte, sich Gedanken über das Lebensende zu machen und diese allenfalls in einer Patientenverfügung festzuhalten. Mit seiner Äusserung fand er viel Anklang. Viele vor allem ältere Menschen wünschen sich wohl tatsächlich, im Fall einer COVID-19-Erkrankung lieber zu sterben, als auf der Intensivstation künstlich beatmet zu werden.
Aeschbachers Aufruf blieb aber nicht unwidersprochen. Der Dachverband Schweizerischer Patientenstellen warnte beispielsweise in einer Medienmitteilung: «Das Abfassen der Verfügung sollte ein Prozess sein, im Laufe dessen ausführliche Gespräche mit Angehörigen und Fachpersonen geführt werden.» Viele ältere Menschen könnten sich individuell, aber auch von der Gesellschaft, unter Druck fühlen, zugunsten der Jungen auf ein Intensivbett zu verzichten. Somit sei jetzt nicht der Zeitpunkt, auf die Schnelle eine Patientenverfügung zu verfassen. Nachvollziehbar ist, dass die Verantwortlichen auf den Intensivstationen um möglichst viele Patientenverfügungen froh wären. Diese würden ihnen schwierige Entscheidungen ersparen, wenn einmal zu wenig Intensivpflegeplätze zur Verfügung stehen sollten.
Beim Entscheid über die Aufnahme auf einer Intensivstation handelt es sich um einen Fall von Rationierung der Medizin. Also darum, einem Menschen in übergeordnetem Interesse eine Behandlung zu verweigern, die ihm voraussichtlich nützen würde. Das ist ein Reizthema, über das in den letzten Jahren immer wieder heftig gestritten wurde. Im Raum stand dabei die Frage, ob man rationieren solle, um den Anstieg der Gesundheitskosten zu dämpfen. Zu Wort meldeten sich vor allem Expert:innen, die davon ausgingen, dass im Verborgenen sowieso schon aus Kostengründen rationiert werde. Sie bezeichneten dies als Skandal und forderten die Formulierung transparenter und demokratisch legitimierter Auswahlkriterien. Ihnen wurde entgegengehalten, die Gewährung oder Verweigerung nützlicher medizinischer Massnahmen sei überhaupt nicht demokratisch verhandelbar. Diese Rationierungsdebatte ist jedenfalls eine heikle Sache. Sie hat etwas Provokatives und kann auch dazu dienen, einen Leistungsabbau und Mittelkürzungen zu legitimieren.
Zurzeit geht es jedoch nicht um eine Rationierung aus finanziellen Gründen. Sondern darum, dass die Möglichkeit zur Behandlung aller an COVID Erkrankten fehlen könnte. In dieser Situation führt kein Weg an Entscheidungen über Leben und Tod vorbei. Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften hat Richtlinien dazu erarbeitet, deren Inhalt vernünftig und auch nicht völlig neu ist (https://www.samw.ch/de.html). Schon immer hat man bei Versorgungsengpässen auf die Dringlichkeit der Behandlung und die Überlebenschancen der Betroffenen abgestellt. Somit könnten die Verantwortlichen auf den Intensivstationen im Fall der Fälle auch ohne Patientenverfügung eine fundierte Entscheidung treffen. Wer das wirklich will, soll durchaus eine Patientenverfügung abfassen. Niemand sollte sich aber dazu gedrängt fühlen. Oberstes Ziel muss es jedenfalls bleiben, die Pandemie soweit unter Kontrolle zu behalten, dass immer genügend Intensivpflegeplätze zur Verfügung stehen.
Mit einer Patientenverfügung kann ein Mensch anordnen, welche medizinischen Massnahmen im Fall seiner Urteilsunfähigkeit vorzunehmen oder zu unterlassen sind. Er kann darin auch eine Vertrauensperson bezeichnen, die an seiner Stelle entscheiden soll.
Ob eine Patientenverfügung verbindlich ist, war lange Zeit umstritten. In Ärztekreisen wurde oft die Meinung vertreten, es handle sich dabei bloss um ein Indiz für den Willen des Patienten. Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte dürften auch auf weitere Anhaltspunkte abstellen, um diesen zu ermitteln. Seit Anfang 2013 ist in Art. 372 ZGB festgehalten, einer Patientenverfügung sei Folge zu leisten, ausser sie verstosse gegen gesetzliche Bestimmungen oder es bestünden begründete Zweifel, dass sie nach wie vor dem Willen des betroffenen Menschen entspreche.
Um solche Zweifel auszuschliessen, empfiehlt es sich eine Patientenverfügung regelmässig mit seiner Unterschrift zu bestätigen. Um gültig zu sein, muss eine Patientenverfügung gemäss Art. 371 ZGB schriftlich abgefasst, datiert und unterzeichnet sein. Verschiedene Organisationen bieten Vorlagen und Merkblätter dazu an, etwa das Schweizerische Rote Kreuz, die Patientenstellen, die Caritas und die FMH. Es kann sich empfehlen, vor dem Abfassen der Verfügung eine Beratung in Anspruch zu nehmen.
*Ruedi Spöndlin ist Präsident des Forum für Zeitfragen