Ausgabe | 2 - Mai 2021 |
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Autor*innen | Peter Bollag |
Beat Jans
Beat Jans wurde 1964 in Basel geboren. Nach der Ausbildung zum Landwirt machte er u. a. eine Weiterbildung als Umweltnaturwissenschaftler an der ETH Zürich, er arbeitete in diesem Bereich auch als freier Unternehmer und war auch Teilzeit-Hausmann (2 Töchter). Lange Jahre war er Geschäftsleitungs-Mitglied des Verbandes Pro Natura.
Von 2000 bis 2005 war Beat Jans Präsident der SP Basel-Stadt und 2015 bis 2020 Vizepräsident der SP Schweiz. Zwischen 2010 und 2020 sass er im Nationalrat und im Herbst wurde Beat Jans in die Basler Regierung gewählt.
Seit einigen Monaten ist der frühere SP-Nationalrat Beat Jans Basler Regierungspräsident und damit Nachfolger von Elisabeth Ackermann (Grüne). Zum Präsidialdepartement gehören u.a. auch der Runde Tisch der Religionen und religiöse Fragen im Allgemeinen. WEITblick hat darum Beat Jans Fragen zu diesen Themen gestellt. Das Interview wurde schriftlich geführt.
Beat Jans, wie halten Sie es mit der Religion? Wie wichtig ist sie Ihnen?
«Als Kind ging ich jeden Sonntag in die Kirche. Meine Eltern haben mir christliche Werte wie Toleranz und Nächstenliebe vorgelebt, was mich bis heute auch politisch geprägt hat. Ohne Besinnung finden Mensch und Gesellschaft keine innere Ruhe. Und letztere halte ich für die Voraussetzung für sozialen Frieden und nachhaltige Entwicklung. Ich betrachte Religion als eine wichtige soziale Kraft und die Religionsgemeinschaften als wichtige Partner für das friedliche gesellschaftliche Zusammenleben. Ich freue mich deshalb, dass ich als Regierungspräsident auch die Zusammenarbeit mit den Religionsgemeinschaften zu meinen Aufgaben zählen darf».
In dieser Nummer des Weitblick geht es u.a. um die Feste Schawuoth, Pfingsten und Ramadan, Feste der drei abrahamitischen Religionen. Welche Rolle spielen diese Feste aus Ihrer Sicht für die Region Basel?
«Feste spielen in allen Religionen eine wichtige Rolle für das Gemeinschaftsgefühl. Als Kanton zeigen wir ein grosses Interesse am Leben dieser Religionsgemeinschaften. So gab es vor zwei Jahren ein Grusswort der Regierung am öffentlichen Fastenbrechen der Muslime auf dem Barfüsserplatz oder im jährlichen Gottesdienst der Migrationskirchen am Tag der Völker. Während der Pandemie stellt sich für viele Religionsgemeinschaften die Frage, wie diese Feste trotzdem würdevoll gefeiert werden können. Unser Runder Tisch der Religionen thematisiert diese Fragen regelmässig und tauscht sich über alternative Formen des gemeinschaftlichen Lebens aus.»
Basel-Stadt ist gemäss Statistiken der Kanton mit dem höchsten Anteil an Menschen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören. Muss dies beim Umgang mit Religionsgemeinschaften bei den Behörden, also auch im Präsidialdepartement (Runder Tisch etc.) eine Rolle spielen?
«Es ist in jedem Fall wünschenswert, dass sich die gesamte religiöse und spirituelle Landschaft des Kantons auch in Gefässen wie dem Runden Tisch der Religionen beider Basel abbildet. Die sogenannt konfessionslosen Personen – unsere grösste Gruppe – sind ja nicht unbedingt areligiös, sondern tauchen einfach in der Statistik nicht auf, die ausschliesslich die Zugehörigkeit in einer anerkannten Gemeinschaft erfasst.
Allerdings ist es nicht ganz einfach, sämtliche Formen von Religiosität und Spiritualität in Gefässen wie dem Runden Tisch zu beteiligen, denn die Mehrheit der sogenannt Konfessionslosen lebt ihre Spiritualität häufig sehr individuell aus und hat unter Umständen Teil an verschiedenen spirituellen und religiösen Praktiken. Wir versuchen aber langfristig, die Abstützung unserer Religionspolitik an die veränderte Situation anzupassen.»
Viele Kirchen und Religionsgemeinschaften setzen sich zurzeit stark mit der Klimapolitik auseinander. Sehen Sie Religionsgemeinschaften als wichtige Player in der Klimapolitik?
«Die starken Veränderungen unserer Lebensbedingungen und der dramatische Verlust an Tier- und Pflanzenarten durch das Verbrennen von fossilen Brennstoffen sind eine grosse Bedrohung für das, was etwa die Bibel als Schöpfung bezeichnet. Es ist folgerichtig, dass sich die Religionen für den Klimaschutz einsetzen. Ich bin sehr froh darüber. Wir brauchen alle Akteure, auch die Religionsgemeinschaften um den nötigen Werte- und Politikwandel hinzukriegen.»
Nachfrage: Müssten sich diese Religionsgemeinschaft nicht eher auf andere Dinge wie Spiritualität oder praktische Religionsausübung konzentrieren?
«Auf was sich die Religionsgemeinschaften konzentrieren, müssen sie selbst entscheiden. Es ist nicht an mir zu sagen, wo praktische Religionsausübung aufhört und wo ethisch-gesellschaftliche Fragen anfangen. Die drohenden Auswirkungen des Klimawandels sind aber so gross, dass sich das Thema zwangsläufig in allen Bereichen niederschlägt.»
Die christlichen Kirchen aber auch die Israelitische Gemeinde leiden unter Mitgliederschwund, teilweise auch unter finanziellen Problemen. Alle Religionsgemeinschaften, auch die muslimische, haben zudem in Corona-Zeiten Mühe, ihre Mitglieder zu aktivieren, auch zu motivieren. Sollte der Kanton hier Hilfestellung leisten, vielleicht eher moralisch als finanziell?
«Der Kanton versucht in dieser schwierigen Situation auf allen Ebenen Hilfestellung zu leisten, sowohl moralisch als auch finanziell. Leider entsprechen religiöse Gemeinschaften oft nicht den Förderkriterien. Wir versuchen zu unterstützen, wo es für den Kanton möglich ist.
Leider treffen für Religionsgemeinschaften die meisten Kriterien für Unterstützungsangebote und Härtefallfonds nicht zu. Das können wir allerdings kantonal nicht lösen. Wir konnten jedoch erreichen, dass für Religionsgemeinschaften auch die Drittel-Lösung bei den Mietkosten gilt. Dies sollte zumindest zu einer gewissen Erleichterung führen. Wir sehen aber vor allem auch in der Vernetzung der Akteure über den Runden Tisch der Religionen eine gute Chance, damit kreative Lösungen einzelner Gemeinschaften auch von anderen umgesetzt werden können. Denn die Herausforderungen sind ja auch vergleichbar.»
Noch eine Frage zur Burkaverbot-Abstimmung: Basel-Stadt hat diese Vorlage ja klar abgelehnt. Nach einem Hin und Her will nun anscheinende doch der Bund die Umsetzung an die Hand nehmen. Sollte sich der Volkswille hier also in dieser Umsetzung widerspiegeln?
«Es ist zu früh, dies eindeutig zu beantworten. Es fragt sich auch, welchen Volkswillen Sie meinen, den eidgenössischen oder den kantonalen? Wir sind beiden verpflichtet und werden dies, sofern vom Bund ein Spielraum bleibt, in der kantonalen Umsetzung auch so berücksichtigen.»
«Im Übrigen bin ich aber sonst nicht der, welcher in allem, was geschieht, eine höhere Bedeutung sieht. Für mich lief einiges auch normal, trotz Corona»
Ron Karger
Elif: «Unser Vereinsleben in der muslimischen Studierendenvereinigung stand völlig still. Auch das jährliche öffentliche Iftar – das abendliche Fastenbrechen während des letztjährigen Ramadans – der MSAUB konnte nicht stattfinden. Das war schade. Auch dass man beim Fasten im Ramadan allein zu Hause sitzen musste, fand ich mühsam, das Gemeinschaftsgefühl war nicht vorhanden. Ansonsten machte der Lockdown mir persönlich nicht allzu viel aus, da ich sowieso eher zu Hause bete.»
Tabitha: Hat euch die religiöse Prägung, eure Spiritualität, in der Coronazeit geholfen?
Elif: «Ja, das Beten hilft in einer Notsituation sehr, es beruhigt. Ich glaube auch, dass alles, was geschieht, von Gott kommt und einen Grund hat. Das hat mich immer beruhigt».
Ron: «Mir haben die religiösen Riten, insbesondere das Beten, geholfen, eine Struktur in den Alltag zu bringen. Man darf im Judentum die Gebete nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt sagen. Beim Morgengebet zwingt einem das dann beispielsweise, rechtzeitig aufzustehen. Im Übrigen bin ich aber sonst nicht der, welcher in allem, was geschieht, eine höhere Bedeutung sieht. Für mich lief einiges auch normal, trotz Corona.»
Feodora: «Mein Glaube und mein spirituelles Empfinden sind eher stärker geworden. Ich war nicht mehr so abgelenkt wie vor Corona und hatte mehr Zeit, mich auf meinen Glauben einzulassen.»
Tabitha: Mehr Zeit wofür genau?
Feodora: «Um mir Gedanken zu machen und um Antworten in der Bibel zu suchen. So kam ich noch näher zu Gott.»
Aysegül: Wie erlebt ihr den religiösen Jahresablauf in Zeiten von Corona? Im Islam gibt es ja heilige Monate wie den Ramadan. Gibt es im Judentum auch sowas, Ron?
Ron: «Ja, das gibt es. Der Anfang des Zyklus ist der Feiertag Rosch Haschana (wörtlich: `Kopf des Jahres`), das jüdische Neujahr. Das ist meistens im September oder anfangs Oktober. Über das ganze Jahr gibt es dann weitere Feiertage, unter anderem die drei grossen Wallfahrtsfeiertage, an welchen man nach Jerusalem zum Tempel pilgerte. Das sind Sukkot, das Laubhüttenfest ein paar Tage nach Rosch Haschana, dann Pessach im Frühling und Schawuot, genau sieben Wochen später, am Ende des Frühlings. Pessach ist das Frühlingsfest, ursprünglich der Zeitpunkt der Aussaat, und Schawuot ist das Fest der Ernte, der Erstlingsfrüchte. Dazwischen liegen 49 Tage, an welchen man immer wieder auch schlimmer historischer Ereignisse gedenkt, es ist eine Trauerzeit. Dann gibt es – zwischen Rosch Haschana und Sukkot - den Versöhnungstag Jom Kippur, an dem wir den ganzen Tag in der Synagoge sind und beten. Daneben gibt es eine Reihe von untergeordneten Feiertagen.
«Ich hatte mehr Zeit, um mir Gedanken zu machen und um Antworten in der Bibel zu suchen. So kam ich noch näher zu Gott.»
Feodora Nwoke
Der jüdische Kalender ist ein Mondkalender, wie der islamische. Weil das Mondjahr kürzer ist als das weltliche Kalenderjahr, wandern die Festtage. Dank einem Schaltmonat, der alle drei bis vier Jahre eingelegt wird, bleiben die Festtage jedoch immer in der gleichen Jahreszeit.»
Aysegül: Schawuot steht also vor der Türe. Was bedeutet Dir dieser Feiertag persönlich?
Ron: «Schawuot ist zwar ein Erntedankfest, an dem auch Opfer gebracht wurden. Aber wir feiern dann auch, dass wir die Thora erhalten haben. Da ist es üblich, die ganze Nacht aus der Thora zu lernen. Normalerweise gibt es dazu ein strukturiertes Programm mit Vorträgen zu bestimmten Themen aus der Thora. Letztes Jahr war das aber natürlich nicht möglich. Ich lernte deshalb zusammen mit meinem Bruder die ganze Nacht zu Hause. Schade war für mich, dass ich letztes Jahr an Schawuot eigentlich an der Jeschiwa in Israel gewesen wäre. Das wäre ein sehr spezielles Ereignis gewesen, die ganze Schule bleibt normalerweise die ganze Nacht auf, lernt, sagt dann das Morgengebet und geht erst dann schlafen. Leider konnte ich wegen Corona dann aber nicht dort sein.»
Aysegül: Überlegst du dir, nächstes Jahr Schawuot an dieser Schule zu feiern?
Ron: «Ja, ich bin jetzt auf der Suche nach einer Filmschule in Israel. Wenn ich ein Studium an einer solchen beginnen könnte, wäre es sicher eine Idee, für Schawuot an die religiöse Schule zurückzukehren und meine dortigen Freunde wieder zu treffen.»
Aysegül: Elif, wie erlebst du den Ramadan in Coronazeiten?
Elif: «Ramadan ist der Monat, in dem Gott dem Propheten Mohammed die erste Offenbarung übermittelt hat. Während dieser Zeit soll man sich vieler weltlicher Dinge enthalten und die Zeit für Selbstreflexion nutzen. Normalerweise haben wir uns im Ramadan immer regelmässig getroffen, um uns über theologische Fragen auszutauschen. Dieser Austausch war im letzten Jahr nicht wirklich möglich und hat mir deshalb sehr gefehlt. Wir haben uns zwar online ausgetauscht, aber das ist nicht das Gleiche. Und wie schon erwähnt, vermisste ich das gemeinsame Fastenbrechen mit den Freundinnen und Freunden. Umgekehrt spürte ich meine Spiritualität besser und konnte mehr aus dem Koran lesen, weil ich zu Hause war. Dieses Jahr wird es vermutlich ähnlich sein. Die Situation hat ihre Vor- und Nachteile.»
Am Pfingstfest feiern wir, dass der Heilige Geist über die Anhänger:innen von Jesus kam. Meine Familie, die aus Afrika stammt, ging dann jeweils in die Kirche und dankte dafür, mit vielen Gebeten.
Feodora Nwoke
Aysegül: Feodora, bei euch steht ja bald das Pfingstfest an. Kannst du erklären, was das ist und was du an dieser Zeit als besonders empfindest?
Feodora: «Am Pfingstfest feiern wir, dass der Heilige Geist über die Anhänger:in-nen von Jesus kam. Meine Familie, die aus Afrika stammt, ging dann jeweils in die Kirche und dankte dafür, mit vielen Gebeten. Meine jetzige Kirche hier in der Schweiz macht an Pfingsten aber nicht viel Spezielles. Das finde ich etwas schade. In Afrika sassen wir an Pfingsten jeweils beisammen und haben gebetet – mein Grossvater war Priester.»
Tabitha: In den Landeskirchen ist Pfingsten tatsächlich nicht ein so prominentes Fest. Weihnachten und Ostern haben für die meisten Menschen einen viel höheren Stellenwert. Grundsätzlich ist Pfingsten aber etwas Fröhliches, sozusagen der Geburtstag der Kirche, an dem man dankbar für das Geschenk des Heiligen Geistes ist. Letztes Jahr waren an Ostern nur Online-Gottesdienste möglich, während man an Pfingsten wieder zusammenkommen konnte. Deshalb war Pfingsten für mich besonders schön.
Tabitha: Zum Schluss: Was war für Euch interessant, was die anderen beiden erzählt haben?
Ron: «Ich habe einige spannende neue Informationen erhalten. Um ehrlich zu sein: Ich kenne die christlichen Feiertage am besten aus meiner Schulzeit, weil man dann oft schulfrei hatte. Und über den Ramadan weiss ich doch auch das eine oder andere, allerdings habe ich jetzt heute einige neue Informationen bekommen – und das gilt auch für das Pfingstfest.»
Elif: «Auch ich habe heute einige neue Informationen bekommen, etwa über Schawuoth und welche Bedeutung es hat. Und grundsätzlich finde ich es schön, dass in einer Zeit, wo Religion grundsätzlich nicht so im Trend ist, sich drei junge Menschen an einem Sonntagnachmittag virtuell treffen, um sich über diese religiösen Themen zu unterhalten.»
Feodora: «Ich schliesse mich da an, auch ich wusste vor dem heutigen Gespräch nicht allzu viel über die anderen beiden Religionen, nehme aber jetzt doch einiges mit. Ich habe sowohl muslimische Freundinnen als auch einen jüdischen Kollegen, ihnen begegne ich nun vielleicht auch etwas anders als vorher, da ich mehr über ihren Hintergrund weiss.»
«Ich finde es schön, dass in einer Zeit, wo Religion nicht so im Trend ist, sich drei junge Menschen an einem Sonntagnachmittag virtuell treffen, um sich über religiöse Themen zu unterhalten.»
Elif Erturan
Tabitha: Ich habe gelernt, dass es bei den drei Festen, die in diesem Jahr ja auch in einem ähnlichen Zeitraum gefeiert werden, einiges gibt, das uns verbindet, bei allem Trennenden.
Ich habe von Elif erfahren, dass der Schluss des Ramadan-Monats speziell ist, weil der Koran und damit die Offenbarung Gottes auf die Erde kommt.
Ron hat uns erzählt, wie an Schawuoth aus der Torah gelernt wird, auch da zeigt sich meiner Meinung nach die Stimme Gottes, wenn ich es richtig verstanden habe – und das gilt auch für Pfingsten, das zwar nicht durch ein heiliges Buch aber dafür durch den Heiligen Geist geprägt ist. Der Heilige Geist ist die Kraft, mit der Gott mit den Menschen in Verbindung steht. Ich finde, dieser Gedanke hat etwas Berührendes, ebenso wie die Idee, dass gerade in dieser speziellen Zeit Himmel und Erde einander näherkommen. Aus dem Spektrum meiner Religion, also des Christentums, sind die Pfingstkirchen unbedingt zu nennen. Denn für sie spielt Pfingsten eine viel grössere Rolle als für die Landeskirchen. Ein Leiter einer Pfingstkirche hat einmal mit einem grossem Schmunzeln im Gesicht gesagt: «Wir glauben an die Lautstärke des Heiligen Geistes» («We believe in the loudness of the Spirit»), entsprechend wird dort auch Gottesdienst gefeiert.
*Aysegül Avcik ist Nahostwissenschaftlerin und leitet im Projekt religionen_lokal des Forums Basel eine interreligiöse Gesprächsgruppe.
*Peter Bollag ist Projektleiter der Christlich-Jüdischen Projekte (CJP).
*Ruedi Spöndlin ist Präsident des Forum für Zeitfragen.
*Tabitha Walther ist Fachleiterin Christentum am Zürcher Institut für Interreligiösen Dialog und im Teilzeitpensum Pfarrerin in der Behinderten-Seelsorge.